Historiker als Mythenproduzenten


Von Julian Bernstein                                                        

Der langjährige saarländische Ministerpräsident Franz Josef Röder (CDU) wird bis heute als „Landesvater“ verehrt. Seine Nazi-Vergangenheit haben Historiker und Archivare über Jahrzehnte verschleiert.

Für Peter Müller, den damaligen saarländischen Ministerpräsidenten und heutigen Verfassungsrichter, dürfte es ein angenehmer Termin gewesen sein. Am 20. Juli 2010 fand sich der für seine hemdsärmelige Volksnähe bekannte CDU-Politiker in der tiefsten saarländischen Provinz, in Dillingen, ein, um mit Franz Josef Röder (1909 bis 1979) einen seiner Vorgänger zu ehren. Von ein paar lokalen Honoratioren umringt, auf einer Brücke stehend, würdigte Müller phrasenhaft die politische Lebensleistung Röders: „Er war jemand, der mit großer Sensibilität nah an den Menschen nach Lösungen suchte.“ Der Anlass war Röders 101. Geburtstag. Die Brücke, auf der sich Müller und seine Zuschauer eingefunden hatten, heißt seither Franz-Josef-Röder-Brücke. Neben der Straße, die sich in der Landeshauptstadt Saarbrücken am Landtag vorbeischlängelt, und einer nach dem Ministerpräsidenten benannten Turnhalle ist sie der dritte prominente Ort, der an die liebste Identifikationsfigur der saarländischen CDU erinnert. Mehr als 20 Jahre, von 1959 bis 1979, regierte Röder das kleine Saarland, eine der längsten Amtszeiten eines Ministerpräsidenten seit Bestehen der Bundesrepublik. Proteste gegen die Benennung der Brücke nach dem als „Landesvater“ verehrten Politikers gab es nicht. Denn Röders politisches Vorleben, seine Nähe zum Naziregime, war jahrzehntelang ein wohlgehütetes Geheimnis.

Die Erfindung der Röder-Legende

Auch von Peter Müller war am 20. Juli 2010 nichts von Röders politischen Aktivitäten bis zum Jahr 1945 zu hören. Selbst heute noch – unter Annegret Kramp-Karrenbauer – tut sich vor allem die saarländische CDU schwer, Röders NS-Vergangenheit anzuerkennen. Woher rührt diese Schönrednerei 73 Jahre nach Kriegsende und nunmehr fast 40 Jahre nach Röders Tod? Und wie konnte man Röders Nähe zum Naziregime überhaupt so lange unter dem Deckel halten? Hat doch die NS-Vergangenheit anderer Politiker – etwa von Kurt Georg Kiesinger, aber auch von Lokalpolitikern wie Hans Filbinger – längst eine kritische Aufarbeitung erfahren. Auf den Webseiten der Konrad-Adenauer-Stiftung etwa, die Dokumente und Kurzbiografien prominenter CDU-Politiker auflistet, sucht man bei Röder – im Gegensatz zu Kiesinger und Filbinger – vergeblich nach einem Hinweis auf eine Verstrickung in das NS-Regime. Stattdessen wird der spätere Ministerpräsident dort dem „resistenten katholischen Milieu“ zugerechnet und behauptet: „Die Versuche politischer Gegner nach dem Krieg, eine NS-Belastung in jenen Jahren nachzuweisen, blieben ohne Ergebnis.“

Tatsächlich trat Röder am 1. August 1933 der NSDAP bei. Er engagierte sich in der Deutschen Front, die für einen Anschluss seiner Heimat, des damals unter der Verwaltung des Völkerbunds stehenden Saargebiets, an das Deutsche Reich kämpfte. Dabei schloss sich Röder auch dem militanten Ordnungsdienst an – einem Auffangbecken für Mitglieder der im Saargebiet verbotenen SS und SA. Nach dem Anschluss des Saargebiets an das Deutsche Reich ergatterte Röder 1937 einen begehrten Posten als Auslandslehrer in Den Haag, brachte es dort immerhin bis zum Zellenleiter der NSDAP und übernahm ab 1940 die Leitung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes in den Niederlanden. Seine Aufgabe: die Auswahl studentischer Kollaborateure nach rassischen und ideologischen Gesichtspunkten.

Je mehr man sich mit Röders Vergangenheit auseinandersetzt, umso deutlicher wird: Hier hat sich ein hartnäckiger Geschichtsmythos durchgesetzt, eine Legende, die seit Jahrzehnten von der saarländischen CDU gepflegt und vor allem von einer ganzen Reihe Historiker und Archivare wissenschaftlich flankiert wird.

Die Blaupause der Legende des untadeligen „Landesvaters“ stammt aus dem Jahr 1979. Wenige Monate nach Röders Tod veröffentlichte der stellvertretende Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung Erich Voltmer seine Biografie „Franz Josef Röder. Ein Leben für die Saar“ – einer der größten saarländischen Bestseller. Röders Leben bis 1945 handelt Voltmer in wenigen Sätzen ab. Die Übersiedlung des späteren Ministerpräsidenten in die Niederlande wird in dem Werk zu so etwas wie einer Flucht verklärt. Er habe sich dem „Machtbereich der Nazis entziehen“ wollen, heißt es darin. Weder Röders Engagement im Ordnungsdienst der Deutschen Front noch seine NSDAP-Mitgliedschaft oder seine Tätigkeit als Leiter des DAAD in den Niederlanden finden Erwähnung. Geboren war die Legende von der Inneren Emigration, wenn nicht gar vom Widerstand. Voltmer, der diese Fantasie in die Welt gesetzt hat, hatte ein ureigenstes Interesse daran, Röders Nazi-Vergangenheit zu vertuschen. Denn er selbst war wie Röder im Saargebiet einst Mitglied des militanten Ordnungsdienstes sowie der NSDAP. Während des Krieges arbeitete er als Journalist in der Propagandatruppe des Heeres, unter anderem auf dem Balkan. Seinen späteren Arbeitgeber, die Saarbrücker Zeitung, hielt dies nicht davon ab, einen nach dem früheren Propagandaautor benannten und zumindest noch bis in die 90er Jahre hinein vergebenen Preis zu stiften: den „Erich-Voltmer-Preis für junge Journalistinnen und Journalisten“. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Autor – der zeitweise auch Vorsitzender des Rundfunkrats des SR und Präsident des saarländischen Journalistenverbands war – hat innerhalb der überschaubaren lokalen Öffentlichkeit bis heute nicht stattgefunden. Voltmers Röder-Biografie gilt weiterhin als verlässliche Quelle und wird von Historikern unkritisch zitiert. Dabei ist wenig verwunderlich, dass man so auch zu ähnlichen Einschätzungen kommt: Röder hätte die Kriegsjahre in einer Art Inneren Emigration verbracht, liest man etwa in einer Darstellung aus dem Jahr 2014 von Heinrich Küppers, einem mittlerweile emeritierten Geschichtsprofessor.

Geschichtsklitterung auf Staatskosten

Die Schönfärberei hat sich in den letzten Jahren allerdings gewandelt. Seit der Autor und Geschäftsführer der Heinrich-Böll-Stiftung Saar, Erich Später, im Jahr 2003 in dieser Zeitschrift erstmalig Röders NSDAP-Mitgliedschaft öffentlich machte, ist das ganz dreiste Totschweigen jeglichen Hinweises auf eine NS-Belastung Röders immerhin schwieriger geworden. Heutige Röder-Beweihräucherung erfordert ein Mindestmaß an Kreativität. Ein Beispiel hierfür ist ein Artikel aus der Feder des Landesarchivars Peter Wettmann-Jungblut, erschienen im Jahr 2013 in den Saargeschichten – einer Zeitschrift, die sich unter anderem explizit an Geschichtslehrer wendet. In seinem Aufsatz geht der Archivar in die Offensive: Als erster Historiker überhaupt wertet er Röders immerhin in Teilen überlieferte Entnazifizierungsakte aus. Trotz der Lücken enthält die Akte ein spannendes Dokument: ein dreiseitiges persönliches Schreiben Röders, indem sich der spätere CDU-Politiker für seine NS-Aktivitäten rechtfertigt. Röder räumt darin teils bekannte Tatsachen wie seine NSDAP-Mitgliedschaft ein, die, wie er schreibt, natürlich nur rein nominell bestanden habe. Weitaus interessanter ist, dass Röder in dem Schreiben auch bis dahin Unbekanntes erwähnt – zum Beispiel seine Mitgliedschaft im Schlägertrupp der Deutschen Front, dem Ordnungsdienst. Ein wenig kryptisch räumt er zudem ein: Aus seiner „rein äusserlichen Zugehörigkeit zum Ordnungsdienst“ habe er seinerzeit ebenfalls eine Mitgliedschaft in der saarländischen SA „konstruiert“, ohne dieser aber, wie er weiter ausführt, „jemals angehört zu haben“. Röder gesteht hier also eine Zugehörigkeit zur saarländischen SA ein, um sie im nächsten Halbsatz wiederum zu leugnen. Wie immer man nun Röders verklausuliertes Eingeständnis einer „konstruierten“ SA-Mitgliedschaft interpretieren mag – erwähnenswert ist der Fund einer solchen Textstelle allemal. Wettmann-Jungblut gelingt jedoch das Kunststück, wörtlich von der betreffenden Seite zu zitieren, ohne diese, für die Bewertung von Röders NS-Vergangenheit überaus relevanten Informationen zu benennen. Ebensowenig erwähnt der Autor Röders offizielle Parteifunktion als Zellenleiter der NSDAP in Den Haag, die der spätere „Landesvater“ gleichfalls in dem Schreiben eingesteht. Es ist nicht nur diese äußerst selektive Zitierweise, auf die man allerorten stößt. Nicht mehr zu leugnende, belastende Quellen werden gerne absichtlich falsch interpretiert oder mit abstrusen Argumenten beiseite gewischt. Neben dem Hinweis auf eine SA-Mitgliedschaft in Röders Schreiben gibt es eine weitere Quelle, die eine Zugehörigkeit zur Sturmabteilung nahelegt: ein Brief von Röders Vater an NS-Behörden aus dem Jahr 1937. Darin schreibt der Vater stolz, sein Sohn sei während des Abstimmungskampfes Mitglied der „illegalen SA“ gewesen. Wettmann-Jungbluts eigenwillige Erklärung: Vater Röder müsse hier schlichtweg die Uniformen verwechselt haben. Röder Junior sei nämlich auch Mitglied im NSKK gewesen, dem nationalsozialistischen Kraftfahrkorps, und die Uniformen sähen nun mal ganz ähnlich aus. Diese vermeintliche Erklärung präsentierte Wettmann-Jungblut im Sommer 2016 auf einer Podiumsdiskussion (der Autor dieses Artikels war Teilnehmer der Diskussion), wohlgemerkt in vollem Wissen um die Tatsache, dass Röder ja selbst immerhin eine „konstruierte“ Mitgliedschaft eingesteht. Die Zuschauer hingegen wussten nichts davon, hatte Wettmann-Jungblut diese Textstelle in seinem zuvor erschienenen Aufsatz doch nicht erwähnt. Ebenso abenteuerlich ist Wettmann-Jungbluts Einschätzung eines von Röder verfassten Propagandatextes. In einem Artikel für das Besatzungsorgan „Deutsche Zeitung in den Niederlanden“ preist Röder ein halbes Jahr nach dem Überfall auf das neutrale Land die Stärke des Deutschen Reiches. Den Niederländern hingegen legt er die endgültige Unterwerfung nahe und fordert sie auf, die „dargereichte Freundeshand“ Nazi-Deutschlands anzunehmen. Wettmann-Jungbluts Urteil: „ein relativ neutrales Dokument“.  (Eine ausführliche Auseinandersetzung mit den Texten Wettmann-Jungbluts in wissenschaftlicher Form findet sich hier.)

Die großen und kleinen Manipulationen in den Texten Peter Wettmann-Jungbluts sind kein Einzelfall. Auch der bereits erwähnte Heinrich Küppers unterschlägt in einer von der CDU-nahen Unionstiftung finanzierten Biografie Röders Zugehörigkeit zum Ordnungsdienst, seine Position als Zellenleiter und Hinweise auf eine Mitgliedschaft in der SA. Ähnlich tendenziös arbeitet Hans-Christian Herrmann, Leiter des Saarbrücker Stadtarchivs und Vorstandsmitglied im Verband deutscher Archivare. Noch im Jahr 2012 vermied der Archivar in einem Aufsatz jeglichen Hinweis auf Röders Nähe zum Naziregime. In seiner jüngsten Publikation, einer Ende vorigen Jahres erschienenen Biografie über den „Landesvater“ (Franz Josef Röder. Das Saarland und seine Geschichte), erwähnt er nun immerhin Röders Parteimitgliedschaft und seine Position als Zellenleiter – das allerdings nicht ohne seine Leser dabei in die Irre zu führen. Wie auch schon zu Röders mutmaßlicher SA-Mitgliedschaft gibt es auch zu seiner Funktion als Zellenleiter der NSDAP in Den Haag eine zweite belastende Quelle. Sie befindet sich in Röders Stasi-Akte. Es ist Röders Ernennungsurkunde zum Studienrat aus dem Jahr 1942. Darin wird nicht nur seine Tätigkeit als „Zellenleiter der Ortsgruppe Den Haag“ schriftlich festgehalten, sondern ihm zumindest formal bescheinigt, dass er „jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat“ eintrete – für Herrmann, der sich wie seine Kollegen die Entlastung Röders zum Ziel gesetzt hat, eine unschöne Stelle. Ganz verschweigen will er sie allerdings auch nicht. Er zitiert in seinem Buch daher aus einem Bericht der Stasi über Röder aus dem Jahr 1964: „Charakteristik: Lt. Ernennungsbogen bietet R. die Gewähr, dass er jederzeit rückhaltlos für den nationalsozialistischen Staat eintritt.“ Diesen Satz kommentiert Herrmann nun so: „Diese Aussage ist eine Einschätzung der Staatsicherheit der DDR aus dem Jahr 1964. Im Schreiben des Reichsministeriums vom 5. Juni 1942 heißt es lediglich: ,Der Leiter der Partei-Kanzlei hat Einwendungen gegen die Ernennung nicht erhoben.‘“ Und schon handelt es sich bei dem belastenden Satz, der im Originaldokument steht, lediglich um eine nachträgliche, womöglich ideologisch gefärbte Interpretation der Stasi, die mit Röders eigentlicher Haltung zur Zeit der Nationalsozialismus nichts zu tun hätte. Es verwundert nicht, dass Herrmann in seinem Werk auch kein Wort über Röders Verbindung zum Ordnungsdienst und der SA verliert. Der saarländischen CDU dürfte die Biografie gefallen haben, am 13. Januar 2018 hat sie das Buch auf ihrer Facebook-Seite beworben.

Es ließe sich eine ganze Reihe weiterer Mogeleien auflisten. Die Methoden sind immer die gleichen: Sie reichen vom selektiven Zitieren, dem simplen Unterschlagen belastender Dokumente bis zu dreisten Manipulationen. Es sind Methoden, wie man sie von ewiggestrigen Heimatkundlern erwarten würde ohne direkte Anbindung an staatliche Universitäten und Archive. Die Historiker, die aktiv an einer Verklärung der Vergangenheit Röders arbeiten, sind jedoch allesamt im Öffentlichen Dienst beschäftigt, sie sind Angestellte des saarländischen Landesarchivs, des Saarbrücker Stadtarchivs und an Universitäten tätig. Sie sind Mitglieder des wichtigsten Geschichtsvereins des Saarlandes, des Historischen Vereins für die Saargegend, und kommen regelmäßig in der regionalen Medienlandschaft zu Wort. Die fehlende Aufarbeitung von Röders NS-Vergangenheit ist damit vor allem ein Versagen eines Teils der etablierten Geschichtswissenschaft, die gerade bei Themen, die ausschließlich lokal und von der immergleichen Clique verhandelt werden, Gefahr läuft, gefällige Mythen zu produzieren.

Einflussnahme der Staatskanzlei

Mit dem in Wien tätigen Historiker Johannes Koll hat sich nun immerhin ein Experte von außerhalb zu Wort gemeldet. Der Autor einer hochgelobten Habilitationsschrift über den Chef der damaligen deutschen Besatzungsmacht in den Niederlanden, Arthur Seyß-Inquart, gab auf einem Vortrag in Saarbrücken eine erste Einschätzung ab: Röder sei als Funktionär der NSDAP mit den Zielen der Nazis vertraut gewesen und habe in den Niederlanden aktiv an der Besatzungsherrschaft mitgewirkt. Zudem wirft er Stadtarchivar Herrmann vor, weit hinter den Forschungsstand zurückzufallen und seine Habilitationsschrift für eine Entlastung Röders zu missbrauchen – eine bemerkenswerte Klatsche für einen Archivleiter einer Landeshauptstadt. Auch in Teilen der lokalen Medienlandschaft regt sich mittlerweile Unmut über die jahrzehntelange Schweigepraxis saarländischer Historiker: Auf SR 2, der Kulturwelle des Saarländischen Rundfunks, nannte der Journalist Uwe Loebens, auf Recherchen der Saarbrücker Hefte bezugnehmend, das Verhalten der Archivare Wettmann-Jungblut und Herrmann „unredlich“. Den Verantwortlichen legte er nahe zu prüfen, „ob solche Personen wirklich geeignet sind, das historische Gedächtnis des Saarlandes zu hüten“.

Die Eignung der Archivare wird von den Verantwortlichen bisher jedoch nicht hinterfragt. Im Gegenteil. Man scheint alles daran zu setzen, eine Diskussion über die NS-Vergangenheit Röders zu unterbinden. Am 13. November 2017 schaltete sich gar die Saarbrücker Staatskanzlei unter der damaligen Ministerpräsidentin und heutigen CDU-Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer mit einem Brief an den SR-Intendanten Thomas Kleist in die Debatte ein. Jochen W. Wagner, Leiter der Abteilung Grundsatzfragen und Öffentlichkeitsarbeit der Landesregierung, kritisiert in dem Schreiben, das den Saarbrücker Heften vorliegt, die Berichterstattung des SR als einseitig. Das Thema müsse erneut – diesmal „wissenschaftlich“ – aufgegriffen werden. Dies sei umso wichtiger, „wenn es sich um die Gesinnung und das Wirken von historischen Persönlichkeiten handelt, die sich um das Wohl unseres Landes verdient gemacht haben.“ Des Weiteren regte der Abteilungsleiter eine Art Gesinnungsprüfung der an der Debatte beteiligten Autoren an: „Bereichernd wäre darüber hinaus ganz sicher auch ein kritischer Blick auf den wissenschaftlichen bzw. auch ideologischen Hintergrund der Akteure.“ Gemeint sein dürfte neben Uwe Loebens und Erich Später auch der Autor dieses Artikels. Die saarländische Staatskanzlei scheint demnach nicht davor zurückzuschrecken, missliebige Journalisten auszubooten und geschichtspolitische Debatten in ihrem Sinne lenken zu wollen.

Die Bereitschaft, die Person Franz Josef Röder nun auf einmal differenzierter zu betrachten, ist folglich gering – und das nicht nur innerhalb der saarländischen CDU. Die Identifikation mit Röder als „Landesvater“ reicht weit über die Regierungspartei hinaus. Für die Benennung der Franz-Josef-Röder-Straße in Saarbrücken sorgte im Jahr 1984 etwa einst Oskar Lafontaine, damals noch in der SPD. Mit der zwanzigjährigen Ära Röder verbinden viele Saarländer über sämtliche Parteigrenzen hinweg die „Heimkehr“ nach Deutschland im Jahr 1957. In der offiziellen Erinnerungskultur ist die sogenannte „kleine Wiedervereinigung“ die Geburtsstunde des Bundeslandes, die alle paar Jahre mit großem Tamtam gefeiert wird. Dass im Zuge der zweiten Saarabstimmung und dem Ende des teilautonomen, von Remigranten aufgebauten Saarstaats mit und unter Röder auch zahlreiche ehemalige Nazis wieder in Amt und Würden kamen, die Verwaltung von Franzosenfreunden gesäubert und frühere Hitler-Gegner unter dem Applaus der neuen politischen Führung ein zweites Mal ins Exil getrieben wurden, wird bei der Gelegenheit gerne verdrängt. Die fragile Identität des kleinen Landes will man nicht aufs Spiel setzen.

Wenn es hingegen darum geht, einstige Widerstandskämpfer zu feiern – für die Psyche des Landes sicherlich angenehmer als kritische Fragen zur Nazi-Vergangenheit Röders –, will das Saarland nicht hintanstehen. Dieses Jahr wurde von der Stadt Saarbrücken ganz offiziell zum Willi-Graf-Gedenkjahr ausgerufen. Allerlei Veranstaltungen, von Vorträgen über Exkursionen, szenischen Lesungen, Gottesdiensten bis zu einer Kranzniederlegung sollen an das in Saarbrücken geborene Mitglied der Weißen Rose erinnern. Ob man es mit all dem ernst meint? Das darf bezweifelt werden.